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Eine Geschichte des Sehens und des Sehenlernens

Emilie Bickerton

Cahiers du cinéma – 1951–1959: Die gelben Jahre

Übersetzt von Markus Rautzenberg

Aus: Eine kurze Geschichte der Cahiers du cinéma, S. 33 – 48

Mit einem großen Schwarzweißfoto auf senfgelbem Cover zeigte das elegante, einmal monatlich erscheinende 30-Seiten-Magazin den jeweils ausgezeichneten Film an. Die Verwendung des Standbildes und der Verzicht auf Schlagzeilen vermittelte die absolute Vorrangstellung, welche die Cahiers du cinéma der Ästhetik des Kinos beimaßen. Die »gelben Cahiers«, wie die Zeitschrift rückblickend bezeichnet wurde, enthielten vier oder fünf längere Beiträge. Dazwischen waren Kritiken und einige längere Abschnitte zu finden, die die Arbeit eines Regisseurs oder eine Filmtechnik genauer untersuchten; manchmal kam ein »Brief« von einem Festival oder aus einem anderen Land dazu oder ein eingehendes Interview mit einem verehrten Meister. Atemberaubende Fotografien standen zwischen den Texten und nahmen durchaus auch ganze Seiten ein, da dem Schreiben über Film der gleiche Wert beigemessen wurde wie seiner Erwähnung im Bild. Im Ganzen ergaben diese Elemente ein ästhetisches Meisterwerk: Durch ihr einfaches, aber gewagtes Layout und die Komposition waren die Cahiers schon als reiner Gegenstand eine Hommage an die Schönheit des Kinos. Finanzielle Unterstützung kam von Léonide Kiegel und seinem Verlagshaus Éditions de l’Étoile. Als ursprüngliche Leserschaft übernahm man die kleine Abonnentenzahl der nun eingestellten Revue du cinéma.

Lektionen von André Bazin


Die beiden Kritiker, die während der ersten Dekade nacheinander die Redaktion leiteten, stammten aus der älteren Generation: André Bazin (Jahrgang 1918) und Eric Rohmer (Jahrgang 1920). Beide waren Katholiken, beide waren von Beruf Lehrer und wandten sich dann der Filmkritik zu; ansonsten aber unterschieden sich ihre Herangehensweisen deutlich. In den 1950er Jahren war Bazins Einfluss eher pädagogisch und väterlich als polemisch. Als die Cahiers gegründet wurden, war er 33 Jahre alt und hatte als Filmkritiker bereits einen ausgezeichneten internationalen Ruf. Zuvor hatte er die École Normale Supérieure in Saint-Cloud besucht und dort an verschiedenen Lesegruppen teilgenommen, die sich mit wichtigen Konzepten der damaligen Zeit auseinandersetzten, insbesondere mit Henri Bergsons Theorien der Wahrnehmung. In einer solchen von Esprit organisierten Gruppe begegnete Bazin zum ersten Mal dem Herausgeber dieser Zeitschrift, Emmanuel Mounier, dessen sozialradikaler Katholizismus ihn sein ganzes Leben begleiten sollte. Mouniers theologische Positionen zogen Bazin ebenso an wie sein soziales Gewissen und sein Einsatz für kulturelle Aufklärung und Befreiung.


Im Esprit stieß Bazin auf die außergewöhnlichen Filmkritiken von Roger Leenhardt, insbesondere auf seine in den Jahren der Front populaire verfassten Artikelserien. Leenhardts Behauptung, der höchste Wert des Kinos könne durch Anpassung an die Dinge, wie sie waren, erreicht werden, beeindruckte Bazin besonders. Wiedergabe war wertvoller als metaphorische Andeutungen in der Erzählstruktur. Für Leenhardt war Kino »immer ein...

  • 20. Jahrhundert
  • Film
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Emilie Bickerton

Emilie Bickerton

ist Journalistin und Cineastin. Sie gibt die britische Zeitschrift »New Left Review« mit heraus und ist Autorin zahlreicher Texte über Film, Literatur und Anthropologie. Sie lebt in Hongkong.

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Emilie Bickerton: Eine kurze Geschichte der Cahiers du cinéma

Emilie Bickerton

Eine kurze Geschichte der Cahiers du cinéma

Übersetzt von Markus Rautzenberg

Broschur, 192 Seiten

PDF, 192 Seiten

Die Cahiers du Cinéma, gegründet 1951, revolutionierten die Filmkritik und das Filmemachen. Über lange Zeit erschienen hier die polemischsten, tiefgehendsten und einflussreichsten Kritiken der Filmwelt, und bis heute übt das Magazin seinen Nachhall in den Arbeiten von Kritikern und Filmemachern aus.

Pointiert und scharfzüngig verfolgt Emilie Bickerton die Entwicklung der Cahiers du Cinéma – von den glanzvollen frühen Jahren über die politische Radikalisierung der »Hefte« der späten Sechziger, den Richtungskämpfen der Siebziger und der Reaktion auf Fernsehen und Mainstream in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts – bis heute, da die Cahiers in der Bedeutungslosigkeit eines beliebigen Hochglanzmagazins versunken sind. Zugleich bietet das Buch einen Überblick über eine entscheidende, ja explosive Phase der intellektuellen Diskussion in Frankreich und darüber hinaus.