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»Part Dieu«. Francisco Sierras Malerei

Michael Heitz

Noch ein neuer Gott in Teilen
Franciso Sierras Malerei

Veröffentlicht am 11.06.2017

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Man muss sich Francisco Sierra als einen fröhlichen Maler vorstellen. Nicht nur sein A Self Portrait von 2005 und die Serie ExBolígrafo von 2005/06 lassen dies vermuten, sondern auch sein heiter-düsteres Changieren zwischen photo- und surrealistischem Bildgestus bei einer höchst eigentümlichen Auswahl der Sujets. Eine so auffallende, dass sich der Betrachter auf die reizvolle, wenn auch in mehrerer Hinsicht windungsreiche Spurensuche begibt, den Prozess der malerischen Bildwerdung rückwärts zu durchlaufen, um nach Motiven im Sinne von Motivierungen zu forschen – nicht nur, um das Verhältnis zwischen Dargestelltem und Darstellung zu enträtseln und einen gesteigerten Genuss aus dem Spiel von beidem zu ziehen, sondern vielmehr, um an dem Gelübde teilhaben zu können, das das Motiv an sein Motiv bindet und es zu einer Gabe macht. Nicht, dass dabei auf irgendeinen Grund, irgendeinen Ursprung, ein dem Sujet unterliegendes Subjekt zu stoßen wäre, wohl aber auf ein votum, einen Schwur, ein Opfer, auf das, was das Motiv zum Votiv macht. Man kann sich Francisco Sierra also auch als einen Votivmaler vorstellen – das wird nicht nur durch eine hastig skizzierte Ikonographie nahegelegt, sondern auch durch die hier nicht näher erläuterte Bildgenese des für Sierras Werk zentralen Dekorationsteller feat. The Ugly Man von 2012.

Die fundamentale, mitnichten nur moderne Einsicht, der zufolge jedes Bild das Bild eines anderen ist, nicht etwa nur eines anderen Bildes, sondern vor allem eines Anderen, das nicht Bild ist, gibt auch den Bildern Sierras ihre Kraft, ihre Macht, ihre Gewalt. Die zwischen dem Sichtbaren und dem Subjekt des Blicks aufklaffende substanzielle Andersartigkeit ist der eigentliche Handlungsraum der Malerei. Die Verbindung zwischen beidem, man wäre bei Sierra fast versucht, von einer Vermählung zu sprechen, ist das zu stiftende Bündnis unendlich getrennter Welten. Dass sich diese Bindung bei Sierra zudem in Serien entfaltet, macht sie sowohl lesbarer als auch verworrener, schreibt sich das einzelne Motiv mit seinem Votiv doch in eine übergeordnete oder zumindest eine Umrahmung bildende Erzählung ein, deren Sinn und Bedeutung sich nur als Palimpsest übereinanderliegender Entscheidungs- oder Bündnisketten entziffern läßt.




Study for Würmligott, 2012, Kugelschreiber auf Papier.



Nachdem mit der Kugelschreiberzeichnung Study for Würmligott (2012) zunächst das Sujet eines wurmartigen ineinander verschlungenen, pluralen Organismus geschaffen war (mindestens sechs Enden sind eindeutig identifizierbar, weitere in subtil uneindeutiger Logik möglich, aber nicht evident), zudem als Gott benannt, inkarniert und also in den Bildraum eingesetzt worden war, folgten zunächst in Öl auf Leinwand gemalte Variationen des Motivs. Von der Serie »Würmli 2012–2014« hat der Künstler zumindest vier Emanationen für gültig erklärt: Der Untergang der Würmlisonne (2014), Würmligott (2012), Würmligeist (2012), Die Dreieckigung des Würmligotts (2012). Das Motiv durchläuft dabei altbekannte Erscheinungsformen und Hypostasen. Man wohnt klassischen Epiphanien, vielleicht auch einer Himmelfahrt, in jedem Fall aber einer an klassischen Kreuzigungsszenen orientierten »Dreieckigung« des nun sterblichen Gottes bei. Natürlich werden mit der zum Gott inthronisierten wurmhaften Gestalt Grundbegriffe alt- und neutestamentarischer Theologie ironisiert, wie auch mit der im schweizerischen Idiom diminuierenden Benennung »Würmli«. Mühelos ließen sich die Bezüge zum christlichen Motivvorrat sowie der Darstellungstraditionen entlang unterschiedicher Stränge in der Kunstgeschichte nachverfolgen.

Zu einem in malerischer und produktionsästhetischer Hinsicht neuen, deutlich komplexerem und sich auf die Frage nach der Bildlichkeit des Bildes zuspitzendem Spiel kommt es aber, als Sierra in zeitlicher Überschneidung mit der o.g. Serie zunächst zwei weitere Gemälde (Another God und The New God) vorbereitet, für welche er nun aber ein eigens geschaffenes Modell aus ungebranntem Ton formt – dieses grundiert, bemalt, fotografiert, lackiert, erneut fotografiert. Das plastische Modell, welches gewissermaßen als neu eingeschaltete Matrix für eine hier abzweigende Bildfolge dient und einen Produktionszyklus inauguriert, rückt aber nicht nur in die Position des Modells dessen Abbild schließlich das Gemälde werden soll (kommt ihm doch kein Werkstatus, sondern nur eine Funktion im malerischen Prozess zu). Vielmehr verschiebt und radikalisiert sich das Darstellungsgefüge mit der Existenz einer integralen, stofflichen Skulptur als hinzukommendem Motiv.



The New God, 2013, Öl auf Holz, 220 × 170 cm.





Another God, 2013, Öl auf Holz, 39,5 x 35 cm.




Jean-Luc Nancy hat darauf hingewiesen, dass das Darstellungsverbot nicht notwendig unter dem Gesichtspunkt des Ikonoklasmus verstanden werden muss, sich dieses in der Überlieferung zunächst eher auf skulpturale Erzeugnisse bezog, die als Götzen angebetet werden konnten. Das in Exodos XX, 4 genannte pessel bezeichnet denn auch eine Skulptur, wobei es bemerkenswert ist, das in diesem Kontext eine Vielzahl an Bezeichnungen figuriert, im gesamten monotheistischen Kontext also von Beginn an eine Pluralisierung am Werk war. In jedem Fall aber wird die Verengung der auf das eidolon begrenzten Auffassung des Bilderverbots deutlich, und dem skulpturalen Modell kommt die wesentlich Rolle zu: »Das Götzenbild ist ein hergestellter Gott und nicht die Darstellung eines Gottes, und dessen Lächerlichkeit und Falschheit ist in dessen künstlicher Herstellung begründet. […] Die Anklage gegen das Götzenbild lautet also nicht auf Kopie oder Nachahmung, vielmehr auf dessen volle, massige Präsenz, die Präsenz einer Immanenz oder in einer Immanenz. Das Götzenbild bewegt sich nicht, sieht nicht, spricht nicht, man ruft es an, aber es antwortet nicht. (Vgl. Jesaja XLIV, 7 oder Psalm CXV, 4–8.)« (Jean-Luc Nancy, Am Grund der Bilder, Zürich 2006, S. 55–56.)

Diesem mit der skulpturalen Anmaßung eingehandelten Schweigen scheint der Künstler nun mit einem Akt nur ihm zustehender Autorität und Autorschaft geantwortet zu haben: Denn Sierra hat nach Verfertigung der beiden Gemälde Another God (auf Holz) und The New God (auf Leinwand) das als Vorlage für die Malerei zugrundeliegende – oder sollte man besser sagen: unterworfene – Modell mutwillig und in Anbetracht seiner Massivität mit einigen Schwierigkeiten (mit einem Philosophenhammer?) in Stücke zerschlagen, auseinandergebrochen, um von diesen Fragmenten, Teilen, Gliedern erneut mittels fotografischer Vermittlung fünf weitere Gemälde anzufertigen, die in einem kleineren Format und unter dem gemeinsamen Titel Part Dieu einen vorläufigen Endpunkt der Serie markieren.

Auch wenn Sierra (ganz Votivmaler) das Motiv dieser Tat damit begründet, er wollte auch dem einfachen Bürger oder Bauern ein Bild für die räumlich beengte Wohnstube bereitstellen, wozu doch eine Verkleinerung des Bildes unabdingbar sei (wieder eine List, eine Gabe, ein Dank angesichts welcher Heilung?), wird deutlich: Auch mit dem destruktiven Akt entkommt der Künstler seiner einmal angemaßten Erzeugerrolle nicht, denn die nun gewalttätig erzeugte Filiation führt nur zu einem beschleunigten Wuchern der Bildfortsätze und liefert stets neue Sprösslinge für allerhand Kreaturen: einem nicht anders als fröhlich zu nennenden Reigen von Teilgöttern und Götterteilen.



 


       

Part Dieu, 2014, Öl auf Holz, je 80 × 60 cm.

Man muss sich Francisco Sierra als einen fröhlichen Maler vorstellen. Nicht nur sein A Self Portrait von 2005 und die Serie ExBolígrafo von 2005/06 lassen dies vermuten, sondern auch sein heiter-düsteres Changieren zwischen photo- und surrealistischem Bildgestus bei einer höchst eigentümlichen Auswahl der Sujets. Eine so auffallende, dass sich der Betrachter auf die reizvolle, wenn auch in mehrerer Hinsicht windungsreiche Spurensuche begibt, den Prozess der malerischen Bildwerdung rückwärts zu durchlaufen, um nach Motiven im Sinne von Motivierungen zu forschen – nicht nur, um das Verhältnis zwischen Dargestelltem und Darstellung zu enträtseln und einen gesteigerten Genuss aus dem Spiel von beidem zu ziehen, sondern vielmehr, um an dem Gelübde teilhaben zu können, das das Motiv an sein Motiv bindet und es zu einer Gabe macht.

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