Ulrike Boskamp
Nachbilder, nicht komplementär
Georges Roque
Das Universum der Empfindungen
Annik Pietsch
Augensinn und Farbenspiel
Reportagen, Fiktionen, Wirklichkeiten der Hauptstadt des 20. Jahrhunderts
Tun wir noch einmal so, als wäre die Welt noch zu retten, fragen wir noch einmal kritisch nach einem emanzipatorischen Potential, das der Kunst innewohnen soll, danach, was aus diesem Potential geworden ist, ob und wie man es der Kunst noch zuschreiben kann, wenn die Erschöpfung der künstlerischen Form sich auch darin äußert, dass nunmehr alles unter dem Aspekt der Form wahrgenommen wird, des Designs oder der Inszenierung von Waren im sogenannten ästhetischen Kapitalismus. Denn diese Ubiquität der künstlerischen Form geht auch mit ihrem Gegenteil einher oder vielmehr mit ihrem Komplement, einer moralistischen Festschreibung von Form, die sich fortschrittlich gebärdet, so, als würde es ihr eben um etwas zu tun sein, das ein emanzipatorisches Potential betrifft, eine befreiende Veränderung der Gesellschaft.
Noch einmal so zu tun, als wäre die Welt noch zu retten, noch einmal nach dem emanzipatorischen Potential zu fragen, das der Kunst innewohnen soll, kann nur dadurch ein sinnvolles...
Wenn der »Glaube an die Welt« fehlt, wenn man die Welt verloren hat oder ihrer beraubt wurde, so ist alles, was in einem solchen Zustand des Unglaubens übrigbleibt, das Verrinnen der Zeit. Das Verrinnen der Zeit, das heute mehr und mehr zu sich selbst zu kommen scheint, sich seiner Vollendung zuneigt, ist ein Prozess, der von den Einzelnen als undurchsichtiges und widersprüchliches Geschehen erfahren wird, der aber als solches unbegreifliches Geschehen zugleich die Gestalt eines unumstößlichen Faktums annimmt. Dass Zeit nur verrinnen kann, dass es sie nur als verrinnende, als Maß ihres eigenen Verrinnens gibt, wird allgemein akzeptiert und vorausgesetzt. Diese allseits vorherrschende Überzeugung, die sich selbst als reines Faktum präsentiert, gründet jedoch in einem Vergessen und einem Verrat. Vergessen und verraten sind, mit Deleuze gesprochen, die in der Welt hervorgerufenen »Ereignisse« und die in die Welt gebrachten »Zeit-Räume«. Sie zeugen von der Möglichkeit und Wirklichkeit eines anderen Zeit-Maßes. Vergessen...
Früher passierte es uns, Strophen von Gedichten, historische Fakten, theoretische Sätze, lateinische Wörter, etc., zu vergessen, Dinge, die man uns in der Schule lernen ließ, weil die früheren Generationen sie für wesentlich gehalten hatten – oder solche, die wir uns aus Lust, aus eigener Neigung angeeignet hatten, die aber nichtsdestoweniger aus unserem Geist zu entfliehen drohten, wenn wir uns nicht anstrengten, sie festzuhalten. Unser Gedächtnis der äußeren Kenntnisse schien verwundbar und von unserem Willen abhängig, unser persönliches Gedächtnis dagegen hatte etwas von einer Festung. Von Zeit zu Zeit wusste man nicht mehr, wer 1952 Ratspräsident oder 1970 Fußball-Weltmeister gewesen war, aber man konnte sich sagen, dass es zumindest ein Ding gab, das man niemals vergäße oder das man, es sei denn durch einen tragischen Unfall, niemals so vergessen würde wie alles Übrige, nämlich unser eigenes Leben.
Jetzt, da wir mit dem Internet über ein gigantisches mnemonisches Hilfsmittel verfügen, das fähig ist, fast...