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Literatur

Mike Wilson

Rockabilly

Rockabilly fing an zu graben, spät in einer Frühlingsnacht, mit einer rostigen Schaufel, im Hintergarten seines Hauses. Alles hatte einige Stunden vorher begonnen, es dämmerte, die Fenster in der Nachbarschaft erhellten sich nach und nach und das Rot am Horizont zerfloss. In einigen Häusern flackerten Fernseher, in anderen versammelten sich die Familien um den Abendtisch. Rockabilly hatte weder Familie noch Fernseher, er kniete im Wohnzimmer im Schein einer schwachen Glühbirne auf einem Haufen alter Zeitungen, seine ölverschmierten Finger nahmen ein...
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Aktuelle Texte

Ann Cotten

Das Schöne, Mensch, ist das nicht objektiv?

— Inwiefern bist du Kommunistin – da wir das definieren ­müssen: jemand, die überzeugt ist, dass eine von Grund auf andere Orga­nisationsform des gemeinschaftlichen Lebens den Menschen gut­tun würde, –

— Moment, ist das nicht auch ein Monarchist oder ein Sektenführer?

— Mit Fokus auf Gerechtigkeit.

— Aber die Leute sollen anders sein, ja?

— Total anders.

— Bist du nicht einfach Misanthropin?

 

––––––––––––––––––––––

 

— Nein, weil es gibt Leute, die ich sehr mag, und ich verstehe deswegen nicht, warum die meisten so dumm, oarsch und nervig sind.

— Die meisten Leute stört das nicht so sehr wie dich, wie die anderen sind.

— Ach ja? In meiner Beobachtung stört die meisten Leute alles, was anders ist als sie. Deswegen braucht es Regeln, wie man sich anständig verhält gegenüber Leuten, die man zum Großteil nicht mag.

— Du hast gerade sehr gelitten in einem Zugabteil mit zwei jungen Großmüttern, die miteinander ins Gespräch gekommen sind, während du »arbeiten« wolltest. Und...

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  • Dialektik
  • Kommunismus

 

Themen
Aktuelle Texte

Stephen Barber

An immodest proposal

J.G. Ballard’s self-declared ‘Immodest Proposal’ for a global war-­alliance to exact the destruction of America demonstrates the provocatory zeal of his last fiction plans, as well as their enduring prescience. As Ballard emphasises several times in the World Versus America notebooks, he is utterly serious in his concerns and visions.
Although the Ballard ­estate declined permission for any images of pages from the World Versus America archival notebooks to accompany this essay, any member of the general public interested to do so can readily visit the British Library and view the notebooks in their entirety in the freely-­accessible manuscripts collection there.

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Juli 1962
Juli 1962

Pierre Guyotat

Unabhängigkeit

West Algerien, Ebene des Cheliff, Juni 1962, zwischen der am 19. März verordneten Feuerpause und dem Referendum über die für den 1. Juli festgesetzte Selbstbestimmung. Eine Kompanie von Gefechtspionieren. Die nördliche Umzäunung der Lagertürme über dem Fluss: Esel, abgeschirrte Maultiere, von aufgegebenen Bauernhöfen entflohene Pferde traben am roten Ufer, trinken das knapp werdende Wasser, das, so geht das Gerücht, die sterblichen Überreste der Opfer flussaufwärts abgehaltener Stand­gerichte fortträgt. Ich bin zweiundzwanzigeinhalb. Zwei Jahre zuvor, im Sommer 1960, während der ersten Tage meiner Einberufung...
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Angelika Meier

Dreifaltigkeit meiner Zwirnspulenexistenz

In perfekt sitzender Uniform, die Hakenkreuzbinde frisch aufgebügelt, stehe ich in einer langen Schlange in einer amerikanischen Behörde, um einen Antrag auf einen total war zu stellen, doch nach stundenlangem Schlangestehen teilt mir der freundliche Sachbearbeiter mit, dass das application form for foreign aggressions im Saal nebenan zu erbitten sei. Da ich ein depressiver Faschist bin, lasse ich trotz meiner feschen braunen Uniform den Kopf immer recht schnell hängen und beschließe daher, für heute Schluss und lieber erst morgen den nächsten Versuch zu machen. Am nächsten Morgen stehe ich so auch tatsächlich wacker in der richtigen Schlange, habe dann aber nicht alle Papiere zusammen, um ordnungsgemäß einen total war zu beantragen. Neben der Geburtsurkunde (Original, keine Kopie!) fehlen mir zwei weitere Empfehlungsschreiben amerikanischer Staatsbürger. Man braucht fünf. Aber – ich dachte, drei… Nein, fünf insgesamt! Lächelnd hebt die Sachbearbeiterin ihre rechte Hand, die Finger anschaulich gespreizt. Wo ich doch aber schon...

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Mário Gomes

Über literarische Sprengkraft

Kaum etwas setzt schneller Rost an als Kriegsgerät und Literatur. Da nützt weder Pflege noch Wartung, am besten ist es, man lässt das Material einrosten und rüstet derweil am anderen Ende nach, erweitert Bestände, feilt an Technologien und poliert vor allem die Oberflächen auf Hochglanz, bzw. man nimmt den einfachen Weg und lässt eine Glanzschicht auftragen – einen feinen, seidenen Film –, denn so geht das heutzutage: man trägt auf. Dieser chemische Glanz der Panzer und Bücher kommt von der Sprühdose. Er hält allerdings nicht lange, sondern schwindet, sobald das Auge sich abwendet, und das Auge wendet sich schnell ab. Wo der Blick dann aber als nächstes hin eilt, glitzert und funkelt es wieder: bei jeder Militärparade wie bei jeder Buchmesse.

Dieser Glanz ist jedoch bei weitem nicht das einzige, was Krieg und Literatur verbindet. Ihre Verknüpfungen sind vielfältig und verworren. Wo Gewalt aufhört und das Schriftzeichen anfängt, ist selten klar,...

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