Time Magazine
Montag, 20. August 1945
Der größte und schrecklichste Krieg aller Zeiten endete diese Woche im Nachklang eines gewaltigen Ereignisses – eines Ereignisses, das im Vergleich zum Krieg so viel gewaltiger ist, dass selbst er daneben in seiner Bedeutung schrumpft. Trauer und Zweifel gesellen sich bei der Kunde vom Sieg zu Freude und Dankbarkeit. Denn auf den Siegern lastet ein noch größeres Maß furchteinflößender Verantwortung, ein noch größeres Maß folgenschwerer Verpflichtungen als auf den Besiegten.
Wie in der Schockstarre nach einer schweren Verwundung sprechen Verwirrung und Ratlosigkeit aus den Worten und Taten der Menschen, seien es Soldaten oder Wissenschaftler, große Staatsmänner oder einfache Leute. Doch in den dunkelsten Tiefen ihres Herzens und ihres Verstandes erheben sich riesige Gestalten und treten auf den Plan: Titanen, die aus dem Chaos ein Zeitalter formen, in dem der Jubel über den Sieg schon fast verhallt ist wie der Ruf eines Kindes auf der Straße.
Die kontrollierte Kernspaltung hat die ohnehin zutiefst erschütterte und entzweite Menschheit unumkehrbar in ein neues Zeitalter katapultiert, ein Zeitalter, in dem alle anderen Dinge und Gedanken ebenfalls gespalten sind – und alles andere als kontrolliert. Die meisten Menschen haben begriffen, dass die Atombombe nur der Keim einer Bedrohung ist, nur ein unendlich kleiner Vorgeschmack auf das Möglichwerdende.
Alle Dinge und Gedanken wurden gespalten. Der plötzlich errungene Sieg war ein Segen, für die Japaner nicht weniger als für die Vereinten Nationen; ein Segen jedoch, der einer unbarmherzigen Kraft entsprang, die alles Bekannte in der Geschichte der Menschheit in den Schatten stellt. Das Wettrennen wurde gewonnen, indem die Waffe von jenen genutzt wurde, auf welche die Zivilisation noch am ehesten ihre Hoffnung setzen durfte; doch weil sich diese Kraft an lebenden Wesen bewies statt an toter Materie, schlug sie dem wachen Gewissen der Menschheit eine nie heilende Wunde. Der rationale Verstand hat seinen prometheischsten Sieg über die Natur errungen und dem sterblichen Menschen die Macht und das Feuer der Sonne in die Hand gelegt.
Ist der Mensch dieser Herausforderung gewachsen? Von einem Moment auf den nächsten, ganz ohne Vorwarnung wurde aus der Gegenwart eine unvorstellbare Zukunft. Bietet diese Zukunft noch Hoffnung, und wenn ja, wo liegt sie?
Noch während sie den größten und grausamsten Pyrrhussieg mit der letzten ihr verbliebenen Freude und Dankbarkeit begrüßte, begriff die Menschheit, dass die Entdeckung, die mehr als alles andere zum Ende des schlimmsten aller Kriege beigetragen hatte, sehr wahrscheinlich auch das Ende aller Kriege bedeuten könnte – wenn die Menschen sie nur zu beherrschen und zu nutzen lernten.
Das Möglichwerden sowohl des Guten wie des Bösen führt an das Unendliche heran – und bringt eine weitere schreckliche Spaltung mit sich: dass nämlich die gute Nutzung dieser Kraft in einem Volk, das schon zu Friedenszeiten beinahe am Materialismus zugrunde gegangen wäre, ebensolche Verheerungen anrichten könnte wie die böse. Die Bombe verwandelte alle bisherigen Entscheidungen, seien es die von Jalta oder von Potsdam, zu winzigen Staudämmen in Rinnsalen, die einem gewaltigen Strom zufließen. Als die Bombe das Universum spaltete und den Blick auf das unendlich Außerordentliche freigab, enthüllte sie auch das älteste, schlichteste, allgemeinste, am meisten vernachlässigte, aber bedeutsamste Faktum: dass immer und vor allem anderen der Einzelne für seine Seele verantwortlich ist und dass, wie es ein Psalm so erschütternd sagt, niemand einen Bruder erlösen noch ihn Gott versöhnen kann.
Das Schicksal des Menschen hat sich schon immer im Widerstreit von Vernunft und Seele entschieden, die manchmal zusammen-, manchmal einander entgegenwirken. Jetzt stehen Vernunft und Seele am Scheideweg. Wenn sie beide oder auch nur irgendetwas überleben sollen, muss es ihnen gelingen, eine unauflösliche Partnerschaft einzugehen.