Kränkung und Anerkennung
im digitalen Medienzeitalter am Beispiel der Literatur
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Das Schlagwort der »Ökonomie der Aufmerksamkeit« (Georg Franck) begreift die Aufmerksamkeit als knappe Ressource, um die in der neuen Mediengesellschaft hart gerungen wird. Im künstlerischen Bereich ist der Wunsch nach Aufmerksamkeit und Anerkennung seit jeher zentral: Künstlerinnen und Künstler schreiben sich in der Regel mit Leib und Seele in ihre Werke ein und identifizieren sich stark mit diesen, was einen hohen Bedarf nach anerkennenden Worten mit sich bringt. Das digitale Medienzeitalter hat nun aber numerische Bewertungssysteme sowie Rankings ohne Ende hervorgebracht, die das inhaltliche Argument substituieren; außerdem ist die Jagd nach Aufmerksamkeit durch das Web 2.0 allgemein geworden. Dieser mediale Umbruch stellt den Umgang mit Kränkung und Anerkennung vor neue Herausforderungen.
Es ist bekannt: Das klassische Feuilleton schrumpft, der Raum für traditionelle Rezensionen von Büchern, Premieren und Ausstellungen ist eng geworden, disziplinäre Fachkompetenz wird durch sogenanntes Generalistentum verdrängt, und der Trend zur Kurzform (Tipps) und zum Mainstream hält unvermindert an. Gleichzeitig bilden sich im Internet mittels der technologischen Möglichkeiten zur Communitybildung interessenbezogene Klein- und Kleinstöffentlichkeiten heraus sowie numerisch geprägte Bewertungssysteme, die das inhaltliche Argument substituieren. Dieser doppelte Umbruch bedeutet eine neue Herausforderung für den Umgang mit Kränkung und Anerkennung. Ausschlaggebend für den Vollzug von Kränkung und Anerkennung ist der Faktor Aufmerksamkeit: Wird diese gewährt und positiv zum Ausdruck gebracht, erfährt man Anerkennung; wird sie einem hingegen verweigert, kann das kränkend sein. Die aktuelle Medienlage ist geprägt von Gier nach Zuwendung.
Das Schlagwort der »Ökonomie der Aufmerksamkeit« (Georg Franck) fasst Aufmerksamkeit als eine zentrale Ressource, um die in der neuen Mediengesellschaft hart gerungen wird: Die Medien verkaufen nicht mehr, wie sie es einst taten, die Information an und für sich, die ja schon längst umsonst zu kriegen ist – man denke an all die Online-Redaktionen, an das kommerzielle Fernsehen, an die Dienstleistungen von Google, an die Social Media. Gemessen und an die Werbeindustrie (weiter)verkauft wird vielmehr die Aufmerksamkeit des Publikums.1 Dieser Paradigmawechsel betrifft im Medienzeitalter 2.0 auch traditionelle Kulturgüter wie z.B. Bücher oder Konzerte: Der Literatur- und Kulturbetrieb, so Franck, folgt der aktuellen Medialisierung insofern, als »die Aufmerksamkeit die Rolle der Währung übernommen [hat]. Die Einheiten der Währung heißen Auflage, Quote, Besucherzahl.«2
Im Zuge dieser Veränderungen – die auch und gerade bei konservativen Medien eine Öffnung des Kulturbegriffs in Richtung Alltagsbereiche und Popkultur stark forcierten3 – verschwinden traditionelle Diskursmuster der Kritik aus den Feuilletons, zugleich konzentriert sich die mediale Aufmerksamkeit auf immer weniger Personen. So gibt es beispielsweise im nach wie vor überbordenden belletristischen Angebot mehr und mehr Romane, die lediglich ein- bis zweimal besprochen werden; im schlimmsten Fall erscheint überhaupt keine Rezension. Der literarischen Produktion tut diese Entwicklung allerdings keinen Abbruch, im Gegenteil: Die Teilnehmerzahlen bei literarischen Wettbewerben sind ungebrochen hoch und bei Anfängerwettbewerben gar tendenziell steigend, was in der selbstdarstellerisch erprobten, auf Aufmerksamkeit zielenden Facebook-Generation begründet sein dürfte.
Zustimmung oder Ablehnung vollzieht sich grundsätzlich da, wo Kunst und Kulturbetrieb bzw. Kunst und Medienbetrieb aufeinanderprallen: Rezeption, Kritik, Kommentar – das ist der Umschlagplatz für Kränkung und Anerkennung. Im Rahmen des genannten doppelten Umbruchs in der Medienlandschaft – Verschwinden des Arguments, Karriere der Zahl – bringt dieser Umschlagplatz heute verschärfte Voraussetzungen mit sich.
In der Geschichte der Künste finden sich unzählige Beispiele für Wut und Verzweiflung ob ausgebliebener Aufmerksamkeit: Man ist deprimiert, wenn behördliche oder private Förderinstitutionen für ein eingereichtes Projekt keine Unterstützungsbeiträge gewähren oder wenn Kuratoren ein Werk nicht in eine Ausstellung aufnehmen, man ist frustriert und verzweifelt, wenn man bei einer Preisvergabe nicht berücksichtigt wird oder wenn das Feuilleton eine veröffentlichte Arbeit negativ oder gar nicht rezensiert. Das Ausbleiben von gesellschaftlicher Anerkennung konnte und kann bis zum Suizid führen (z.B. der Selbstmordversuch von Schumann oder der Suizid von Kleist). – Weshalb aber ist Anerkennung für kreativ tätige Personen so wichtig?
Kunst bedeutet, die eigene Erfahrung, Wahrnehmung, Reflexion in eine künstlerisch gestaltete Aussage zu transformieren. Man hat den Drang, etwas noch Ungesehenes, Unerhörtes auszudrücken und es verbindlich zu machen. Man hat eine Wahrnehmung, die noch keine gesellschaftliche Form hat und die man erstmals verlautbaren möchte. In diesem Streben sind Künstlerinnen und Künstler mit den Produkten, die sie hervorbringen, von Beginn an zutiefst verwoben. Denn auch wo es sich nicht um autobiografische Akte handelt, ist das Selbst immer noch am und im Werk: »Was immer du schreibst, du gibst etwas von dir selbst preis«, sagt der Schriftsteller Siegfried Lenz.4 In diesem Sinne fungiert jeder kreative Akt immer auch als Akt der Spiegelung: Der Produzent erkennt sich in dem Objekt, das er gerade selber herstellt. In der Anfangsphase sind Künstlerinnen und Künstler, sofern sie nicht arbeitsteilig vorgehen, auf sich allein gestellt, jeglicher Blick der Anerkennung eines anderen bleibt vorerst noch aus. Das einzige, was einen hier spiegelt und damit potentiell Anerkennung birgt, ist das werdende Produkt selbst: Es wertet, wo es zu gelingen scheint, das Selbstgefühl der Kunstausübenden auf, und mit dieser Aufwertung geht in Momenten des Gelingens eine narzisstische, selbstanerkennende Befriedigung einher.
Keineswegs sollte ein solches narzisstisches Gefühl als verwerflich oder egoistisch betrachtet werden, im Gegenteil: Es ist geradezu konstitutiv für kreative Akte, es ist ein Motor des Gestaltungsprozesses. Im Idealfall aber macht die narzisstische Besetzung des Produktionsaktes selbst einen Prozess durch und klingt dann wieder ab, denn sie selbst ist ja nicht Ziel und Zweck der Kunstausübung. Eher ist sie als ein notwendiges Durchgangsstadium des künstlerischen Aktes zu begreifen. Die unfesten Gefühle, die am Ausgangspunkt von Produktionsprozessen stehen und mit denen oft ein prekäres Existenzgefühl einhergeht, können über eine narzisstische Besetzung des werdenden Objektes zumindest zeitweise behoben werden.
Der künstlerische Akt zielt auf Dialog. Wenn das Objekt fertig ist, setzt eine neue Phase ein, jetzt geht es um Aufmerksamkeit, um Anerkennung: Wird das Buch positiv besprochen und gekauft, ist das Konzert gut besucht, finden die Arbeiten in der Galerie eine Käuferin? Entscheidend für die Kränkung durch negative oder ausbleibende Kritik sind insbesondere zwei Momente: die Öffentlichkeit der Kritik und die Identifizierung des Künstlers mit seinem Produkt.
Das Kunstprodukt enthält immer auch Verweise auf die Person des Künstlers, es behält Spuren von dessen Selbst, es zeugt von »schlaflosen Nächten, Wunden, Asthma und Krämpfen«5 (Proust), es birgt den Kampf der Entstehung, auch wenn dieser für den Betrachter nicht mehr zu lesen ist: »Wir würden schreckliche Dinge erfahren, wenn wir bei allen Werken bis auf den Grund ihrer Entstehung sehen könnten.«6 (Schumann) Tatsächlich identifiziert sich der Künstler in beträchtlichem Ausmaß mit seinen Produkten, und genau diese Identifizierung macht so anfällig: Weist jemand mein Werk zurück, so weist er mich zurück.
Die Interaktion zwischen Kunst und Kritik ist nicht nur Teil des Umschlagplatzes ökonomischer Werte, sondern auch psychisch-emotionaler Energien wie Hoffnung, Wut, Kränkung, Erfolgstaumel. Wie eng Kränkung und Anerkennung beieinander liegen, zeigt etwa der jährlich live von 3sat übertragene Ingeborg Bachmann-Wettbewerb, bei dem über ein Dutzend Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Laufe mehrerer Tage nacheinander aus ihren Texten lesen, die jeweils anschließend von den Jurymitgliedern öffentlich diskutiert und bewertet werden. Jeder Autor – vor seinem Auftritt beworben mit einem eigens produzierten Video-Porträt – hat die Möglichkeit vor Augen, als preisgekrönter Sieger aus diesem Wettbewerb hervorzugehen und dabei von Tausenden Zuschauerinnen und Zuschauern live gesehen zu werden. Diese Vorstellung kann aber jäh kippen, das anfängliche Anerkennungsgefühl − »ich bin eingeladen«, »ich nehme in Klagenfurt teil« – kann sich sturzartig in Kränkung verwandeln, wenn sich eine Jurorin nach der anderen negativ äußert. Dabei kann gerade das Fernsehen, das die Anerkennung und die Aufregung zunächst verstärkte, nun die Kränkung noch schlimmer machen. Je renommierter das Medium, je größer seine Reichweite, desto gravierender ist die öffentliche Bezeugung eines Misserfolgs. Etliche Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben eine erfolglose Teilnahme in Klagenfurt nicht einfach nur als temporäre Kränkung, sondern als lang anhaltende literaturbetriebliche Traumatisierung erfahren.
Schriftstellerinnen und Schriftsteller werden im aktuellen Literaturbetrieb wie in Klagenfurt zu Betriebsmaterial degradiert, indem man ihnen im fixen Setting eine so eng gefasste Rolle zuweist, dass sich ernsthafte intellektuelle Anliegen kaum mehr Ausdruck verschaffen können; dies ist etwa auch der Fall beim Event »Zürich liest« oder an der Leipziger Buchmesse, wo Hunderte von Lesungen innert weniger Tage heruntergespult werden und bei denen der Einzelautor zur Staffage verkommt. Der Dauerzwang zur Eventisierung trägt dazu bei, dass die allgemeine Aufmerksamkeit sich bei einigen wenigen ›Stars‹ einpendelt, während das Gros der weiteren Beteiligten marginalisiert wird. Großverlage fördern solche Tendenz zum Mainstream heute u.a. mit einer Gewinnbeteiligung von Lektorinnen und Lektoren, d.h. diese geben ihr Okay zu Manuskripten, die besonders verkaufsträchtig erscheinen.
Analog dazu grassieren heute im Internet Bewertungsformen, welche die allgemeine Verschiebung vom qualitativen zum quantitativen Argument vor Augen führen: Gefragt sind Klicks & Hits, Ratings & Rankings, also messbare Aufmerksamkeit. Gezählt werden beispielsweise die Buchverkäufe bei Amazon: Mit jedem verkauften Exemplar ändert sich der Bestseller-Rang. Andere Anbieter führen ähnliche Rankings. Zählbar sind außerdem Kundenrezensionen sowie die Anzahl von deren positiven oder negativen Bewertungen. Solch transparente Formen der quantitativen Evaluation betreffen nicht nur Künstlerinnen und Künstler, sondern auch Anbieter von anderen Produkten. Was diese quantitativen Evaluationen förmlich provozieren, ist der Anschein direkter Vergleichbarkeit, durch welche der Vollzug von Kränkung und Anerkennung angestachelt wird. Gerade wenn einem eine bestimmte erhoffte Anerkennung versagt bleibt, nimmt man sehr genau wahr, wer sie denn sonst erhält − »warum die und nicht ich?«; »warum der, wo ich doch viel geeigneter wäre?« Es ist eine der giftigsten Eigenschaften von solcher Kränkung, dass sie ein riesiges Potential von Neid in sich birgt. Hierzu tragen nicht nur die Angaben der Bestsellerränge bei; mit Hilfe der Abrufstatistik von Wikipedia-Seiten beispielsweise kann jeder Schriftsteller sehen, wie oft seine eigene Website aufgerufen wird und wie oft diejenige seiner Kolleginnen und Kollegen.
Exemplarisch für die neue technologische Vergleichbarkeit ist etwa das Wettbewerbs-Programm »Googlefight«, in das man zwei beliebige Schlagworte eintragen kann, worauf angegeben wird, welches davon auf wieviel Nennungen im Internet kommt. Beim Programm »Ngram Viewer« kann man zusätzlich zu mehreren Schlagwörtern auch einen bestimmten Zeitraum eintragen; daraufhin erscheint eine Kurve, der zu entnehmen ist, wie sich das Interesse am Schlagwort im Laufe der Zeit verändert hat. Grundlage der Errechnung sind hier die über fünf Millionen von Google digitalisierten Bücher. Gibt man etwa die beiden Namen Elfriede Jelinek und Peter Handke ein, erscheinen augenblicklich zwei Kurven, an denen ablesbar ist, wer wann intensiver im öffentlichen Gespräch war. So kann man auch sich selbst mit der ganzen Welt vergleichen, und man kann Kolleginnen und Kollegen in beliebiger Konstellation gegeneinander antreten lassen. Für Benutzerinnen und Benutzer, die dazu neigen, ihre eigenen Namen einzutragen, sind solche Programme dafür prädestiniert, Prozesse der Kränkung oder der Anerkennung (je nach gewählter Vergleichsgröße) selbst zu generieren. –
Die neidgetriebene Beobachtung von Kolleginnen und Kollegen ist keineswegs neu. Im Zeitalter des Internets jedoch wird sie nicht nur unterstützt, sondern geradezu provoziert durch die frei zugänglichen digitalen Aufzeichnungsstatistiken; diese nicht dauernd aufzurufen und sich von den verfügbaren Informationen nicht verleiten zu lassen, erfordert ein von solchen Vergleichswerten unabhängiges Selbstverständnis.
Und noch in einer weiteren Hinsicht wird die narzisstische Verführbarkeit auf die Probe gestellt: Numerische Bewertungssysteme, wie sie das Netz erzeugt, schreien buchstäblich nach Manipulation, wiewohl auch diese keinesfalls nur den Bereich der Künste betrifft. Erscheinen beispielsweise Rezensionen in Radio oder Fernsehen und werden diese auch im Internet gepostet, so kann die Anzahl von »Views« per Eigenklick in die Höhe getrieben werden. Eine andere Strategie der Täuschung manifestieren die interessegeleiteten Kundenrezensionen: Einzelne Verlage ersuchen ihre Autoren mittlerweile systematisch darum, im Freundeskreis Amazon-Kunden zu rekrutieren und diese darum zu bitten, ein positives Statement zu dem jeweiligen Buch zu verfassen und es zu posten. Ebenfalls anzuführen sind die Autoren selbst, die unter Pseudonym ihre eigenen Bücher besprechen, und hinzu kommen Negativkritiken, die man zu Produkten von Konkurrenten schreibt, um diese gezielt zu schädigen. Amazon selbst antwortet auf eine Anfrage zu diesem Problem, dass es sich um »interne Vorgänge« handle und daher keine weiteren Informationen erteilt werden könnten.7 Die technischen Möglichkeiten des Internets fordern richtiggehend dazu auf, manipulierend in die Darstellung von Rezeptionsakten einzugreifen. Der Aufmerksamkeit heischenden Selbstvermarktung im Netz leistet eine Vielzahl von Anbietern Vorschub, die beispielsweise »Likes« oder »Freunde« verkaufen.8
Mit der Etablierung des Medienzeitalters 2.0 vollzieht sich im Künstesystem ein Wertewandel. Der traditionelle Diskurs der Künste behauptet die Unabhängigkeit der künstlerischen Produktion vom Markt. Aktuell jedoch verwischt sich diese Abgrenzung zusehends, was tendenziell für ältere, in den Nachkriegsjahrzehnten geborene Schriftsteller und auch für andere Künstler eine besondere Herausforderung darstellt. Manche von ihnen verfolgen gezielt Strategien, um ihre Produkte im Internet gut zu positionieren, etwa indem sie vermehrt die Unterstützung von IT-Experten beanspruchen, d.h. sie beteiligen sich aktiv an der Jagd nach einer Aufmerksamkeit, die sich im Vergleich zu früheren Zeiten weniger substanziell artikuliert und die auch weniger dauerhaft ist, sodass sie immer wieder aufs Neue gesichert werden muss. Andere, auch jüngere, halten sich hingegen bewusst abseits und behaupten so weiterhin die Trennung von künstlerischer Autonomie und Markt.
Die hohe Kränkungsanfälligkeit von Künstlern liegt grundsätzlich in der Spezifizität von künstlerisch-gestalterischen Produktionsprozessen begründet. Aktuell stellt sich jedoch die Frage, ob und inwiefern sich solche Kränkung und Anerkennung im Medienzeitalter 2.0 verallgemeinert: Jeder kann heute seine Videos, Fotos oder Texte posten und darauf hoffen, dass andere dafür Interesse bekunden, und jeder muss selbst fertig werden damit, wenn er dabei nicht beklatscht wird. Damit ist ein neuartiges Kränkungspotential auch für all jene kreativen netz-aktiven Personen eröffnet, die kein künstlerisches Selbstverständnis haben, weil sie keinem künstlerischen Werkbegriff folgen. Somit scheint sich der dargelegte Zusammenhang von Kreativität, Kränkung und Anerkennung aus dem konventionellen Kontext der Künste herauszulösen, er scheint je länger je mehr überzuschwappen in eine Gesellschaft, in der der kreative Akt allgemein geworden ist.
1 Georg Franck: »Celebrities: Elite der Mediengesellschaft?«, in: Merkur, Heft 4, 65. Jg., April 2011, S. 300–310, hier S. 302f.. Vgl. auch Georg Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, München 1998.
2 Georg Franck: »Autonomie, Markt und Aufmerksamkeit. Zu den aktuellen Medialisierungsstrategien im Literatur- und Kulturbetrieb.«, in: Markus Joch u.a. (Hg.): Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart, Tübingen 2009, S. 11–21, hier S. 12.
3 Größere Redaktionen wie die NZZ oder die F.A.Z. halten sich seit dem Internetzeitalter hauseigene Blogger, die über Alltagskultur und Popbereiche schreiben. Früher hatte das traditionelle Bildungsbürgertum die Kultur dazu benutzt, um sich von anderen sozialen Schichten, von der Jugend oder auch von Frauen abzugrenzen. Solch exklusive Hermetik des traditionellen Feuilletons wurde damit endgültig verabschiedet.
4 »Erzähl es, damit du es besser verstehst!«, Siegfried Lenz im Gespräch mit Ulrich Greiner und Henning Sußebach, in Die ZEIT vom 14.5.2008.
5 Marcel Proust, zitiert nach Philip Sandblom: Kreativität und Krankheit. Vom Einfluss körperlicher und seelischer Leiden auf Literatur, Kunst und Musik, Berlin, Heidelberg u.a. 1990, S. 54.
6 Robert Schumann: Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, Bd. 1, hg. von Martin Kreisig, Leipzig 1914, S. 83.
7 Email von Amazon an die Verf. vom 4.8.2013. Im Anschluss an diese Auskunft heißt es: »Konnte ich Ihr Problem lösen?« Und es folgen zwei Links, auf die man bei »ja« bzw. bei »nein« klicken kann.
8 Diese Anbieter operieren mit Computerprogrammen, die weitgehend automatisch Webseiten besuchen oder Benutzerprofile herstellen (sog. »Bots«), siehe http://www.buytrafficguide.com/traffic-service; http://buytwitterfollowersreview.org/; http://buylikesreview.org/top-providers/
ist Kultur- und Literaturwissenschaftlerin. Sie studierte Germanistik in Zürich, promovierte 1991 zu Elfriede Jelinek und erlangte ihre Habilitation an der Technischen Universität Berlin 2002. Seit 2004 ist sie Professorin an der Zürcher Hochschule der Künste. Von 2005 bis 2009 war sie Mitglied des Literaturclub des Schweizer Fernsehens, 2012 Mitglied der Jury beim Ingeborg-Bachmann-Preis. Schwerpunktmäßig arbeitet sie zu Gegenwartsliteratur, Verhältnis der Künste, Künstlerische Forschung und Tod.
Laienherrschaft
18 Exkurse zum Verhältnis von Künsten und Medien
Broschur, 320 Seiten
Inkl. Mit Zeichnungen von Yves Netzhammer
PDF, 320 Seiten
Die vielfach geforderte Freiheit des Einzelnen, Kunst nach eigenem Gutdünken zu rezipieren, zu genießen, aber auch zu produzieren und damit zu definieren, ist heute weithin Realität geworden. Wir leben im Zeitalter der Laienherrschaft in den Künsten und den mit ihnen verbundenen Medien: einem Regime, das auf der Dynamik der Massen-Individualisierung und dem Kontrollverlust etablierter Autoritäten beruht, in dem jede Geltung relativ ist und die Demokratisierung in ihrer ganzen Ambivalenz zum Tragen kommt.
Die Essays und Interviews des Bandes kreisen um die Figur des Kulturpublizisten. Wie wirken Ökonomisierung und Digitalisierung auf sein Selbstverständnis ein? Wie sieht es mit der gegenwärtigen Rollenverteilung zwischen Publizist und Künstler aus? Wie verhält sich der Publizist gegenüber dem immer eigenmächtiger auftretenden Rezipienten? Der zeitgenössische Kulturpublizist tritt als Diskursproduzent und als Weitererzähler flüchtiger Wahrnehmung auf; doch auch als Interpret, der als Leser und in diesem Sinne als »Laie« seine Stimme entwickelt – jenseits aller Reinheits- und Absicherungsgebote, die etwa die Wissenschaft aufstellt. Eine Kultur des Interpretierens als eine von der Laienperspektive her gedachte Kultur der Subjektivität, der Aufmerksamkeit, der Sprache und der Auseinandersetzung mit den Künsten ist in Zeiten der Digitalisierung eine unschätzbar wertvolle, omnipräsente und zugleich bedrohte Ressource.
Mit Zeichnungen von Yves Netzhammer.