Ob Aby Warburg die intellektuellen Umgangsformen mit dem Allgemeinen im vor- und nachrevolutionären Russland als gefährliche Simplifizierungen angesehen hätte, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls kam es bei dem Arzt, Schriftsteller und Theoretiker Alexander Bogdanov, dem sich Margarete Vöhringer widmet, zu einer emphatischen Entgrenzung des Allgemeinen, die er als Bestandteil einer revolutionären Praxis auffasste, in der sich Kunst, Wissenschaft und Politik miteinander vermischen. Gegen die operationelle Eingrenzung einer wissenschaftlichen Fragestellung argumentierte Bogdanov, dass kreative Wissenschaft sich den allgemeinsten aller Fragen und Ziele zu widmen habe und setzte eben diese Maxime bei seinen groß angelegten Versuchen zur Bluttransfusion in die Tat um. Das war für sich genommen in den 1920er Jahren nicht ungewöhnlich, doch Bogdanov wollte mehr als bloße Steigerung von Immunität oder Ausgleich von Blutverlust. Sein Fernziel war der Kampf um die Unsterblichkeit, sein Nahziel die Erhöhung der Arbeitskraft und Steigerung des Selbstwertgefühls. Das wollten die Psychotechniker zur gleichen Zeit im Westen auch, aber Bogdanovs Ansatz unterschied sich von jenen in dem einen, entscheidenden Punkt, dass er beim ganzen Organismus und seiner vermeintlichen Grundlage – dem Blut – ansetzte. Holistische Organismustheorien gab es zu jener Zeit mehrere, doch einzigartig war Bogdanovs theoretische Herleitung seines Unternehmens. Mit seiner programmatischen »Tektologie« oder »Allgemeinen Organisationslehre« versuchte er ein umfassendes Theorieangebot für alle natürlichen und künstlichen Phänomene der Welt bereitzustellen. Dabei bestand der Glaube an allgemeingültige Prinzipien nicht nur auf dem Papier. Bevor Bogdanov seine Blutexperimente aufnahm, begründete er die Bewegung des Proletkult, also jene von Lenin mit Argwohn verfolgte kulturelle Selbstorganisation der Massen, die ein verknüpfendes Band zwischen Ökonomie und Politik herstellen sollte. Was der Proletkult für die Gesellschaft, war das Blut für den Körper: ein einheitsstiftender Stoff, der den Organismus zusammenhielt. Mit Recht konnte Bogdanov also für sich in Anspruch nehmen, dass in seinen verschiedenen Praktiken, sei es Bluttransfusion oder Proletkult, das Allgemeine unmittelbar zur Geltung kommt.